Es war einmal, vor einigen Monaten, in Havena, der größten und wichtigsten Hafenstadt des Mittelreiches an der Westküste des Kontinents Aventuriens und stolzen Hauptstadt Albernias. Dennoch in heutigen Tagen nur noch ein trauriger Schatten seiner einstigen Größe und Macht, nachdem ein großes Seebeben vor über dreihundert Jahren die Stadt verwüstete. Nur sieben Stadtviertel – der Fischerort, die Krakeninsel, die Marschen, Nalleshof, das Orkendorf, der Südhafen und die Boroninsel – überdauerten diese Katastrophe und bilden die heutige Altstadt Havenas. Nach dem Beben erst entstanden die drei neuen Viertel Oberfluren, Unterfluren und Feldmark, welche die Neustadt bilden.
In Feldmark erwachte Askir. Seine Zunge fühlte sich belegt an und ihm war etwas schummrig zumute. Wohlweislich ließ er die Augen noch geschlossen und versuchte sich zu erinnern, wo er war. Er spürte die sanften Bewegungen der Wellen tief unter sich. Doch nicht in solcher Intensität, wie es auf hoher See der Fall gewesen wäre. Als sich neben ihm etwas regte spürte er nackte Haut auf seiner Haut. Langsam hob er die Augenlider und wandte den Kopf der Person zu, die mit ihm das Bett teilte. Es war eine Frau, deren regelmäßigen Atemzüge darauf hindeuteten, dass sie noch schlief.
Das Licht des anbrechenden Tages fiel zwischen den Vorhängen in die Kabine. Langsam kehrten die ersten Erinnerungen zurück. Er war auf der Rhetis, einem Vergnügungsschiff mit Speisesaal und Spielsalon, das auch wegen seiner hübschen Bedienungen weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt war. Askir konnte sich noch erinnern, wie er als Junge in den verwinkelten, engen Gassen von Orkendorf davon geträumt hatte auf der Thetis, dem Vorgängerschiff der Rhetis, seine Zeit zu verbringen. Wie viele andere junge Leute, die im schäbigsten Stadtviertel Havenas aufwuchsen mussten, malte er sich die Freuden lebhaft aus. Doch gering nur war die Chance, dass einer von Ihnen jemals das Geld hat, um überhaupt an Bord gelassen zu werden.
Aber er hatte es geschafft! Von seiner schnellen und überstürzten Abreise aus Havena (und dem Ändern seines Namens), dem Herumziehen mit Zahoris, der Begegnung mit einer Pressgang an der Küste des Horasreiches und etlicher Götterläufe auf See war ihm Phex die vergangenen fünf Götterläufe sehr gnädig gewesen. Anteile an etlichen Tavernen nannte er indessen sein Eigen und sein Glück hatte ihn zu einem wohlhabenden Mann gemacht. Nach seiner letzten Rundreise durch die Tavernen der „Humpen-Barone“ hatte er ausreichend Münzen, um eine Reise mit längerem Aufenthalt in seiner Geburtsstadt anzugehen. So war er nach vielen Götterläufen nach Havena zurück gekehrt – und hatte sich gestern seinen Traum erfüllt. Er hatte auf der Rhetis gespeist und gespielt. Der hübschen Frau an seiner Seite nach zu urteilen auch noch etwas mehr.
Für den Sohn einer Hure aus Orkendorf hatte er es weit gebracht. Weiter gebracht, als er es ohne richtige Arbeit, ohne Schweiß für möglich gehalten hätte. Auch wenn sein Geld langsam zur Neige ging und es an der Zeit war wieder in seinen Tavernen vorbei zu schauen. Doch er wusste, wie schnell das Leben vorbei sein konnte. Viele hatte er schon gesehen, die mit einem Dolch zwischen den Rippen in der stinkenden Gosse verendeten, während die Taschen auf Links gedreht wurden. Auf die Boroninsel oder zu Efferd konnte man all sein Geld nicht mitnehmen. So spricht Nichts dagegen das Leben zu genießen, so lange man es kann. Wie auf das Stichwort regte sich die Frau neben ihm und drehte sich zu ihm um. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen und mit einem neckischen Augenaufschlag fuhr ihre Hand zwischen seine Beine.
Einige Zeit später lehnte sich Askir zurück und seufzte, während die Frau ihren Kopf an seine Schulter bettete. Sie begann mit seinem Brusthaar zu spielen. „Ich hoffe der Besuch auf der Rhetis war ganz nach Deinem Geschmack, Kapitän.“ Askir legte die Stirn in Falten, als er nach einem Funken Ironie in ihrer Stimme suchte. Doch die Worte schienen ernst gemeint. Langsam begann eine weitere Erinnerung an den vergangenen Abend in seinem Geist Gestalt anzunehmen. Der Mann blickte neben sich und neben seinen Sachen, die neben dem Bett lagen, entdeckte er das Pergament. Die Überschreibung an Eigentum, die ein Kaufmann ihm gestern für seine Spielschulden ausgestellt hatte. Phex war ihm auch gestern im Spielsalon wieder zugetan gewesen. Ein Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab.