Rezension | DragonSys 3rd Edition | Teil 2

Stand in der 2nd Edition von DragonSys noch ganz klar und unmissverständlich

Das Erlernen einer neuen Fähigkeit muss im Rollenspiel dargestellt werden und kann daher nur während der Spielzeit stattfinden.

findet man in der 3rd Edition jetzt zum selben Thema folgende Formulierung:

Der Spieler erhält eine gewünschte Fertigkeit für seinen Charakter automatisch, sobald er genügend Erfahrungspunkte investiert. Allerdings spricht nichts dagegen, das Erlernen einer neuen Fertigkeit auch im Spiel darzustellen.

Neben den nicht mehr erforderlichen Punkten für das Spiel eines Adligen, auf den ich schon im Teil 1 meiner Rezension eingegangen bin, steht die 3rd Edition des Larp-Regelwerks DragonSys vor allem wegen der oben zitierten Änderung und damit dem Wegfall des Lernzwangs in der Kritik, z.B. hier und hier. Da dieser Punkt in den Besprechungen so viel Beachtung findet und ich eine andere Meinung als die meisten Kritiker zu vertreten scheine widme ich ihm einen eigenen Teil in der Rezension.

Es war Intention der Verfasser der 3rd Edition das Regelwerk DragonSys Classic bzw. 2nd der im Laufe der Zeit veränderten Spielrealität anzupassen – und das hat es mit der oben zitierten Änderung auch gemacht. Ein Lernzwang würde an der Realität nichts ändern. Und ich kann an dieser Realität nichts Verwerfliches, Verdammenswertes und Schlimmes finden, weshalb ich auch die Formulierung im neuen DragonSys-Regelwerk im Sinne der Anpassung nur konsequent und richtig finde.

Wenn man sich über einen Lernzwang unterhält muss man dabei aber auch darüber sprechen, dass nur die wenigsten Charaktere einen Lehrmeister haben. Nur bei den Magiern ist das Lehrmeistersystem noch recht häufig anzutreffen. Doch nicht für jeden Charakter ist es stimmig sich einen Meister zu suchen und sollte man dann nicht ein konsequentes Charakterspiel über einen Lernzwang stellen? Und haben Charaktere nicht auch ein Leben zwischen den Liverollenspielveranstaltungen? Gerade Charaktere, die z.B. als Soldaten einem Land dienen,oder als Priester einem Orden angehören, werden in dieser Zeit in ihren Garnisonen bzw. ihrem Kloster ausgebildet, so dass neue Fähigkeiten Intime erklärbar sind. Noch stärker tritt das Problem bei den Klerikern auf, welche die höchsten bespielten Vertreter ihres Glaubens darstellen. Bei wem sollen sie lernen?

Abgesehen davon, ob das Lernen auf einem Con zum Charakter passt, benötigt man auch die Zeit dafür. Bei den normalen Abenteuercon, an denen man primär mit dem Plot beschäftigt ist, findet man selten die Ruhe und Zeit der 2-3 Tage, welche im DragonSys-2nd-Edition-Regelwerk vorgesehen sind, um eine neue Fähigkeit zu lernen. Was bleibt sind Akademie- und Ambientecons. Soll man nun Spieler, die Geld und Zeit investieren, um auf ein Con zu fahren und dort mit Action Spaß zu haben, durch den Lernzwang im Regelwerk zum Besuch von Ambientecons zwingen? Soll man mit einem Lernzwang jene Spieler bestrafen, die keine Lust auf Ambiente- und Akademiecons haben, aber sich auf Abenteuercons motiviert auf den Plot stürzen?

Ich habe auch Zweifel, ob das Lernen von Fertigkeiten über mehrere Stunden jedem Spieler Spaß macht. Wenn Jemand jeden Tag der Woche mehrere Stunden in einem Hörsaal sitzt oder in einem Büro vor dem Computer, dann kann ich nachvollziehen, dass man in seinem Hobby Larp die Abwechslung sucht und wenig Motivation hat sich stundenlang hin zu setzen, um etwas IT zu lernen. Darf man bzw. ein Regelwerk Jemandem über den Lernzwang verbieten sich in Abenteuer zu stürzen und so an unserem gemeinsamen Hobby Spaß zu haben, weil der Charakter auf diesem Weg nie neue Fähigkeiten erlangen darf?

Wer hat eigentlich etwas von dem Ausspielen des Lernens? Der Lehrende und der Lernende, wenn sie daran Spaß haben. Vielleicht noch die Zuschauer, die es aber seltenst gibt. Wovon aber alle Spieler etwas haben ist eine gut ausgespielte Fertigkeit. Und dabei spielt es keine Rolle, ob sie im Spiel erlernt wurde oder nicht. Wenn ich sehe, wie Jemand spielt, weiß ich das sowieso nicht. Einen Zauber zum Beispiel will ich je nach seiner Art mythisch, bombastisch, beeindruckend und stimmungsvoll – und dann interessiert mich auch nicht, wie der Charakter zu der Fähigkeit gekommen ist.

Interessanterweise implizieren die meisten Argumentationen gegen die Realitätsanpassung der 3rd Edition, dass es eine zwingende Verbindung zwischen dem Lernzwang und gutem Spiel gibt. Ich jedoch bezweifle dass ein schönes und stimmungsvolles Ausspielen einer Fähigkeit nur möglich ist, wenn man diese im Spiel lernt. Es besteht sogar die Gefahr, dass das schlechte Spiel eines Lehrenden weitergegeben wird, denn jeder von uns kennt sicher einen Meister, dessen Spiel nicht ganz den eigenen Qualitätsstandards nicht genügt. Wichtig ist mir, dass sich jeder Spieler Gedanken macht, wie er bzw. sie Fertigkeiten passend und als Vorführung für die Mitspieler ausspielen kann – und nicht mehr.

Unterm Strich kann ich nur wieder darauf hinweisen, dass Liverollenspiel ein Hobby ist und wie alle Freizeitbeschäftigungen, der man sich mit Begeisterung widmet, Spaß machen soll. Und statt die Leute zu etwas zu zwingen, an dem sie keinen Spaß haben, geht die 3rd Edition hier den Weg den Spielern ihre Freiheiten zu lassen und ihnen und ihrem Verständnis für gutes Rollenspiel zu vertrauen. Meiner Erfahrung als SL und als Spieler nach ein Vertrauen, das sich immer auszahlt.

Lange Rede, kurzer Sinn: Der Wegfall des Lernzwangs ist richtig und sinnvoll, stellt eine Anpassung an die Realität dar und wird schon nicht zum Untergang des guten Rollenspiels führen.

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